Dürckheim 3. Abend

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Erwachen - Entdecken der immanenten Transzendenz

 

Auf dem initiatischen Wege – so Graf Dürckheim - lassen sich Entwicklungsstufen unterscheiden. Fünf findet Dürckheim. Diese haben wir beim letzten Abend dargestellt. Wir gehen heute auf einen bestimmten Aspekt der ersten Stufe ein. Auf das Bedürfnis nach Sicherheit.

 

Ich greife den Gedanken noch einmal auf: Nach Dürckheim hat der Mensch einen doppelten Ursprung. Den einen Pol nennt er: sein „WESEN“. Den anderen nennt er sein „weltbezogenes Ich“.

 

Im jungen, heranwachsenden Menschen tritt der himmlische Ursprung (sein überweltliches Wesen) mehr oder weniger ganz in den Hintergrund. Dürckheim sagt: Er entwickelt ein Welt-Ich. Die Entwicklung eines Ichs als naiv-egozentrisches Welt-Ich hatten wir diese erste Stufe im Entwicklungsprozeß überschrieben. 

 

Es ist ein Ich, das in naiver Weise Sicherheit und lusterfülltes Behagen sucht und hierzu nach Besitz, Geltung und Macht verlangt.

 

Für jeden, der in dieser Welt sich zu bewähren hat, ist das ein einleuchtendes Schema. Ein junger Mensch, der sein Bedürfnis nach Sicherheit und Behagen in dieser Linie auf einigermaßen anständige Weise geregelt bekommt, findet bei uns auch gewöhnlich wohlwollende Anerkennung, manchmal vielleicht auch etwas Neid. D.h.: Wir anerkennen dieses Lebenskonzept des Welt-Ichs ,- wenigstens in seinem Kern. Kritik kommt von uns gewöhnlich erst im Hinblick auf die Art, wie es durchgesetzt wird. Gibt es eine Alternative? Wie sähe die Lage aus, wenn sich die Gewichtung verschiebt, und der andere Ursprung des Menschen nach vorn käme, auf dass der Mensch vom WESEN her bestimmt ist und das egozentrische Welt-Ich in den Hintergrund tritt?

 

Dürckheim hat dazu eine schöne Formulierung: Er nennt diesen Umschwung, dass der Mensch zu seinem wahren Wesen erwacht: "Wo das Wesen des Menschen nicht zugelassen ist, … , liegt er als Person noch im Schlaf. Erst in der lebendigen Erfahrung des Wesens, … , schlägt das wahre LEBEN die Augen auf." (Meditieren, S. 84)

 

Als Beispiel für die veränderte Selbstwahrnehmung eines erwachten Menschen zitiert er Paulus. Der nämlich sagt von sich: "Nicht ich lebe, sonder Christus in mir."  Erwachen heißt: Paulus hat entdeckt, dass er in gewisser Weise eins ist mit dem göttlichen Sein. Er hat entdeckt: Das Göttliche ist in ihm anwesend. Dies nennt Dürckheim: Entdeckung der immanenten Transzendenz.

 

Was wird dadurch anders? Was wird aus dem Konzept unseres Welt-Ichs, das nach unserer obigen Formulierung Sicherheit und lusterfülltes Behagen zu suchen und hierzu nach Besitz, Geltung und Macht zu verlangen? Die Antwort heißt: Vom inneren WESEN her kann sich zum Beispiel das in diesem Konzept verborgene Sorgen ändern. Denn in diesem Konzept steckt, dass unser Welt-Ich – in bester Absicht, denn dafür ist es da – darum sorgt und darum sich bemüht, dass wir in dieser Welt angemessen und nach Möglichkeit auch mit lustvollem Behangen zurechtkommen.

 

Mit meinen Worten formuliert: Es gibt eine Schwingung, eine innere Atmosphäre, in der das Sorgen verschwunden ist. Manchmal kann man in der Meditation (und auch bei anderen Gelegenheiten) von solcher Schwingung berührt werden oder man erleben, das man in sie einschwingt. "Die Entdeckung des Einsseins mit dem göttlichen Sein verlangt nach interpretierenden Bildern." (Meditieren S. 84)

 

Eines der traditionellen Bilder für diese Lebenskraft, die das Sorgen hinter sich lässt, ist das Bildwort von den Lilien auf dem Felde.

 

Jesus hält es seinen Schülern und Schülerinnen vor Augen: So ist das, wenn Ihr aus der Vorherrschaft des Welt-Ichs erwacht und von dem göttlichen Wurzelgrund her schwingt: dann seid ihr wie die Lilien auf dem Felde. - Wir können das auch umdrehen: Wir können hineinmeditieren in das Bild von den Lilien auf dem Felde, auf dass wir vielleicht eine Ahnung von der Realität bekommen, die in dieses Symbol als Schwingung (als Kraft) gefasst ist.

 

Meditationsanleitung:

Wir vergegenwärtigen uns im inneren Bild: eine Blumenzwiebe. Eine Lilienzwiebel. Noch ist sie verschlossen ... Jetzt jedoch erlebt sie, dass die Zeit kommt – der Frühling kommt – dass aus ihr eine wunderschöne Blume wird.

Wir können sie sehen. Sie hat Duft, sie hat Ausstrahlung. Sie hat Wirkung.

Die Insekten.... der kleine Junge, der an ihr riecht und dem sie ein Lächeln auf das Gesicht zaubert....

Wir treten in den Bereich ihrer Ausstrahlung hinein. Um die Lilien herum ist eine Atmosphäre: Sie sorgen sich nicht... Und ihre Schwingungen finden bei uns Resonanz. Achtet darauf, wo die Resonanz entsteht, und erlaubt Euch einmal, ihr Raum zu geben.

Sitzen in der Stille (20’)

 

Biblischer Bezug: die Lilien auf dem Felde (Mt 6,25-31)

Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?
...
Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?
Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht.
...
Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden?