Dürckheim 9. Abend

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Welle und Meer I

An diesem und an den kommenden Abenden werden uns bestimmte Meditationsbilder leiten.

 

Es sind die Bilder von 
der Welle im Meer
dem Blatt am Baum
der Rebe am Weinstock
und das Bild von den vielen Gliedern, aber dem einen Leib.

 

Alle diese Bilder stammen aus spirituellen Traditionen – die letzten beiden aus der christlichen Tradition – und thematisieren etwas Spirituelles. Sie sind ein Hinweis, wie man sich selbst ganz unterschiedlich verstehen kann.

 

Wie ist denn das Verhältnis von Welle und Meer? Die Welle ist Welle und zugleich ein Teil des Meeres. Ist das schon genau formuliert? Wie wäre es mit dieser Formulierung: Die Welle ist das Meer, wie es sich in einer bestimmten Ausdrucksweise darstellt? Graf Dürckheim hat eine sehr prägnante und in vielen Zusammenhängen wieder auftauchende Formulierung dazu geprägt: Die Welle ist das Meer in der Weise, in der es als Welle erscheint.

 

Wenn wir im Spiel wären, wer wären dann wir? Sind wir die Welle oder sind wir das Meer? Vermutlich identifizieren wir uns mit dem kleineren Teil, mit der Welle, dem Blatt am Baum, der Rebe am Weinstock etc. und sind in unserem Selbstverständnis eher nicht das Ganze: Das Meer, der Baum, der Weinstock… Die Welle, das Blatt oder die Rebe stehen für das Ich oder das sich abgrenzende Individuum. Das Meer, der Baum und der Weinstock stehen für das WESEN. Denn in der Tiefe unseres Wesens – so würde Dürckheim formulieren – sind wir das Ganze. Und die genannten Meditationsbilder erweisen sich vielleicht als ein Zugang in diese Richtung. Vielleicht können wir - in sie hinein meditierend – eine Ahnung davon bekommen, wie es wäre, wenn wir vom Urgrund des Seins her (vom WESEN her) Person werden.

 

Bei der folgenden Meditation geht es also darum, in ein anderes Bewusstsein unserer selbst hineinzukommen. Dürckheim formuliert so:

 

„Sagt man zur Welle: ‚Du bist doch im Meer’; Antwortet die Welle. ‚Du sagst es.’ ‚Und wo’, fragt man die Welle, ‚fängt denn für dich das Meer an?’ ‚Gleich hier’, sagt die Welle, ‚da, wo mein Schaum aufhört. Ich bin hier, und dort ist das Meer!’ Und fragt man dann weiter: ‚Und du selber, bist du nicht selber eine Welle des Meeres, bist du nicht selbst das Meer in der Weise, in der es als Welle erscheint?’, dann mag die Welle wohl mit dem Kopf begreifen, um aber zu spüren, was die ebendige Wahrheit dieses Satzes bedeutet, bedarf es eines Bewusstseins, darin das Meer nicht mehr nur ‚dort’ ist, nicht mehr nur gegenständlich als ein Gegenüber vorhanden, sondern aufgehoben in der Schau eines inständlichen Bewusstseins. Erst darin wird sich die Welle ihres eigenen Meer-Seins ungegenständlich inne. Erst in diesem Bewusstsein kann ihr bewusst werden, was ihr im gegenständlichen Bewusstsein verstellt ist.“ ( Karlfried Graf Dürckheim, Vom doppelten Ursprung des Menschen, Freiburg / Br. , 17. Auflage 2003, S. 35)

 

Meditationsanleitung:

Im inneren Bild lasst Ihr das Meer entstehen…
Ihr spürt in eine der Wellen hinein. Wie ist es, Welle zu sein…
Ihr spürt in das hinein, was außerhalb von Euch ist. Wie ist es, Meer zu sein…
Ihr lasst das Meer still werden…