Spiritualität auf europäischen Wurzeln 2001

tl_files/images/Veranstaltungen-Bilder115x77/Bluete-orange1.jpgIm Interview mit dem KGS
spricht Volker Schmidt über die Spiritualität in der Kirche, seine Jahre auf den Philippinen und über Möglichkeiten der persönlichen Wandlung (April 2001)

 

Der Hamburger Pastor Volker Schmidt bietet in der Evangelischen Akademie verschiedene spirituelle Seminare an und bezieht dabei asiatisches Wissen mit ein – von der Chakrenlehre bis hin zu Qigong und Meditation. Im Interview mit dem KGS spricht Volker Schmidt über die Spiritualität in der Kirche, seine Jahre auf den Philippinen und über Möglichkeiten der persönlichen Wandlung

 

KGS: Sie arbeiten als Pastor in der Evangelischen Akademie in Hamburg und sind dort gleichzeitig Leiter des Arbeitsbereiches „Meditation und Spiritualität“. Was hat die Kirche mit Spiritualität zu tun?

 

Volker Schmidt: Spiritualität ist ihr ureigenstes Thema. Das Wort kommt von „Spiritus“. Das ist der lateinische Begriff für „Heiliger Geist“. Dass es Spiritualität in allen Religionen und allen religiösen Strömungen gibt, ist klar – selbstverständlich auch im kirchlichen Bereich.

 

Allerdings ist es im Augenblick schon so, dass die verhältnismäßig ungebrochenen Traditionen Asiens uns im Westen erhebliche Impulse geben wiederzuentdecken, was wir durch die Aufklärung im Abendland zunehmend aus den Augen verloren haben.

 

Was ging verloren?

 

Der Beitrag des Abendlandes zur Weltkultur ist eine sehr scharfe Klarheit des rationalen Geistes: Planen, nach vorn greifen, Ereignisse als Geschichte begreifen, in der der Mensch Verantwortung trägt und die er verändern kann. Im Zuge der Zeit der Aufklärung sind andere Fähigkeiten des Menschen – insbesondere die intuitiven – sehr stark an den Rand gedrängt worden. Vorher gab es auch bei uns ein stärker spirituelles Verständnis von Mensch und Kosmos, Leben und Tod und wurden zahlreiche spirituelle Übungen auch bei uns praktiziert.

 

Viele Menschen finden ihren Glauben im Buddhismus oder in fernöstlichen Philosophien. Können wir froh sein, dass Asiens Spiritualität den Westen erreicht hat?

 

Ja. Jedoch müssen wir uns klar machen, dass Spiritualität in unserer Kultur bereits vorhanden ist. Darauf hat ja auch der Dalai Lama bei seinem letzten Besuch in Hamburg hingewiesen, als er erklärte, dass es wenig Sinn machen würde, wenn wir alle versuchen würden eine tibetische Spiritualität zu entwickeln. Es wäre vielleicht angemessener, wenn die Menschen des Westens in ihrer eigenen Kultur nach spirituellen Wurzeln suchen würden.

 

Wie sind Sie dazu gekommen, Methoden wie Qigong und Meditation mit ihrem Beruf als Pastor zu verbinden?

 

Ich habe seit vielen Jahren engen Kontakt nach Asien, insbesondere zu den Philippinen. Zwei Jahre habe ich auf den Philippinen gelebt. Ich hatte einen Auftrag zur politischen Bildungsarbeit bekommen und arbeitete dort in einem Institut für Erwachsenenbildung.

 

Auf den Philippinen bekam ich Kontakt zu einem Nonnenorden. Die Frauen engagierten sich in der sozialen Bewegung und brachten auch ihre Spiritualität mit ein. Von ihnen habe ich beispielsweise eine bestimmte Qigong-Sequenz, die die Nonnen als Körpermeditation praktizieren, erlernt. Sie heißt Shibashi und umfasst 18 altchinesische Bewegungsschritte aus der Tradition des Qigong – eine Methode, die mir hilft meinen Körper wahrzunehmen und die ich auch in Hamburg unterrichte.

 

Wann waren Sie auf den Philippinen?

 

Zuerst in den 80iger Jahren, als Marcos noch Diktator war. Es gab eine sehr starke Widerstandsbewegung, in die christliche Strömungen eingebunden waren.

 

Sie kamen damals auch ins Gefängnis?

 

Ja, als politischer Gefangener, für sechs Monate.

 

Warum?

Das war damals so. Wenn man zu nahe an der Aufstandsbewegung war, landete man leicht im Gefängnis – ohne Gerichtsverfahren. Für mich war das eine Zeit, in der ich zwangsläufig tief in die philippinische Alltagskultur und auch in die dortige Spiritualität eintauchte. Ich war der einzige Ausländer unter etwa hundert politischen Gefangenen. Eine ganz wichtige Erfahrung war, dass die Menschen draußen mit uns drinnen Kontakt hielten. Unter anderem kamen die Menschen von draußen und feierten regelmäßig mit uns die Messe durch den Stacheldraht hindurch. In der philippinischen Gesellschaft war es keine Schande, sondern eher eine Ehre, politischer Gefangener zu sein.

 

Was verbindet Sie heute noch mit der asiatischen Kultur?

 

Lydia Orben-Schmidt und Volker Schmidt 1995

Während meiner Zeit auf den Philippinen lernte ich meine Frau kennen, und das heißt: Die Verbindung mit Asien ist im persönlichen Bereich ständig präsent, einmal ganz abgesehen davon, dass wir über all die Jahre beruflich und privat immer im Kontakt mit den Philippinen geblieben sind.

 

Im Zug der Zeit begriff ich, wie sehr und wie tief ich westlich geprägt bin und dass ich in eine Kultur eingetaucht war, in der die Menschen in ganz wesentlicher Hinsicht anders „schwingen“. Das ist auch jetzt noch so zwischen meiner Frau und mir. Wir sind ganz nah beieinander und wir sind zugleich auch deutlich unterschiedlich, nicht nur als Mann und Frau, sondern auch als Westler und Asiatin. Das klar zu sehen und gegenseitig achtungsvoll anzuerkennen ist eine große Bereicherung.

 

Überhaupt denke ich, dass vieles, was in Asien üblich ist, nicht ohne Weiteres in unsere Kultur übertragen werden kann. Beispielsweise ist das Lehrerverständnis in Europa ein anderes. Wenn ein asiatischer Meister etwas sagt, folgen ihm seine Schüler gewöhnlich ohne viel zu hinterfragen. Wir im Westen jedoch stehen historisch in einer anderen Entwicklung. Der Westen hat das Individuum viel stärker herausgebildet, also eine Kultur, in der jeder Einzelne verantwortlich ist. Demokratie gehört dazu.

 

Hat die Skepsis gegenüber Meistern etwas mit der deutschen Geschichte zu tun?

 

Ich denke diese Haltung, dass jeder Mensch verantwortlich ist, ist eher europäisch und hat etwas mit dem Chris­tentum zu tun – wobei natürlich Hitlerdeutschland eine bedeutende Rolle spielt. Die Entwicklung der westlichen Kultur fordert stärker von den Menschen, dass sie sie selbst sind, authentisch. Für mich als Pastor ist es so, dass ich verschiedene theologische Lehrer hatte, aber man von mir erwartet, dass das, was ich predige, von mir kommt, aus meinem Herzen.

 

Auch glaube ich, dass Menschen, die sich auf ihrer spirituellen Suche beispielsweise auf den Weg nach Tibet machen, irgendwann an den Punkt kommen, wo sie sich fragen müssen, ob die Wurzeln, die sie in asiatischer Spiritualität haben entwickeln können, ganz in die eigene Tiefe hineinreichen und dort „das Heilige“ auch wirklich berühren können. Vielleicht erweist sich der Weg nach Asien ja gewissermaßen als Zeit spiritueller Wanderjahre, von denen man eines Tages mit Erfahrung und genauerem Wissen, was man eigentlich sucht, nach Hause zurückkehrt, um dann dort zielstrebig weiterzugraben.

 

Wie praktizieren Sie ganz persönlich Spiritualität?

 

Um sechs Uhr stehe ich auf und um sieben mache ich Frühstück. Dazwischen ist meine Zeit, in der ich mich auf mein Höckerchen setze und in der Stille meditiere. Auch praktiziere ich regelmäßig die Shibashi -Übungen, die sehr wichtig für mich sind, weil sie die Körperlichkeit in die Spiritualität mit einbringen. Außerdem veranstalte ich eine Fülle von spirituellen Seminaren – viele mit meiner Frau zusammen – in denen wir uns gemeinsam unterschiedlichsten Impulsen stellen – Impulse, die uns auf unserem individuellen Wandlungsweg unterstützen können.

 

Seit wann sind Sie Pastor?

 

Seit dem Ende meines Studiums, aber eigentlich gewissermaßen schon Zeit meines Lebens. Mein Vater war schon Pastor, mein Bruder, meine Schwester sind es. Ich habe schon immer in kirchlichen Zusammenhängen gelebt.

 

Wie reagieren Ihre Kollegen auf Ihr außergewöhnliches Engagement?

 

Sie haben mich unterstützt den Arbeitsbereich „Meditation und Spiritualität“ zu entwickeln, auch mit kritischen Fragen. Als ein chinesischer Kalligraph Tuschemalerei in der Akademie unterrichtete, wurde ich gefragt, ob das Programm nun nicht vielleicht doch ins Asiatische oder Buddhistische abdrifte. Solche Fragen haben mitgeholfen, die Programme zu den verschiedenen spirituellen Veranstaltungen so klar zu verfassen, dass man ganz genau verstehen kann, worum es geht.

 

Muss man christlichen Glaubens sein, um an den Veranstaltungen teilnehmen zu können?

 

Bei uns wird nie gefragt, ob jemand Christ ist. Allerdings verstecken wir auch nicht, dass wir christlich sind.

 

Ihr jüngstes Projekt heißt „Spiritualität der Romanik“. Worum geht es dabei?

 

Die mittelalterlichen Kirchen sind für mich ein guter Zugang zu den spirituellen Wurzeln, an die man wieder anknüpfen kann. Diese Kirchen stehen gewöhnlich auf Kraftorten und sind baulich so gestaltet, dass der aufmerksame Besucher von ihren Kräften oder Energien berührt wird. Ganz offensichtlich haben die mittelalterlichen Erbauer diese Kirchen so gestaltet, dass man sie – meditativ-wahrnehmend und mit anderen Arbeitsformen – wie einen Weg der Wandlung begehen kann. Wir machen uns also auf eine Spurensuche, und indem wir die Romanik, also die Baukunst, die um 1200 ihren Höhepunkt erreicht hat, wählen, gegen wir sehr weit in unsere eigene Geschichte zurück. Vermutlich treffen wir auf eine Spiritualität in unserer eigenen Geschichte, die in vielem der Spiritualität von Naturvölkern gleicht.

 

Volker Schmidt, vielen Dank für dieses Gespräch

 

www.kgs-hamburg.de