Heilende Energien In Esoterik und Christentum

tl_files/images/Veranstaltungen-Bilder115x77/Rot-Beran.jpgVortrag von P. Volker Schmidt
gehalten am 15.11.2006 in der Hauptkirche St. Jacobi zu Hamburg
in der Reihe Heil und Heilung. Von der Kraft der Mystik
 
Diesen Vortrag können Sie sich gegebebenfalls hier ausdrucken.
 

Wenn wir von unserem christlichen Erfahrungsschatz her auf Themen wie "Heilung" und "Heilende Energien" zugehen, dann haben wir zu sprechen von Heilungskräften, von Segenskräften, von den Kräften des Geistes, der lebendig macht. Das sind in der christlichen Theologie Themen die zur Lehre von dem Heiligen Geist gehören. Und so wird unser heutiges Gespräch vermutlich ein Beitrag zur Theologie und Erfahrung des Heiligen Geistes sein.

 

Vermutlich sind Sie ja zu diesem Vortrag nicht zuletzt deswegen gekommen, weil Sie einmal hören wollen, wie denn ein christlicher Theologe zu dem Thema "Energien“"und zu energetischem Heilen steht . Und vielleicht wollen Sie ja auch gern sehen, was er denn wohl selbst davon versteht.

 

Dass wir uns mit dem Thema "Heilende Energien" beschäftigen ist nicht zufällig. Es schwappen in unsere westliche Kultur seit einigen Jahren verschiedenste Strömungen des  "New Age" hinein. Der Markt an Angeboten zu Heilungstechniken und zu spirituellem Wachstum boomt. Schulen und Netzwerke zur Ausbildung zum Heiler oder zur Heilerin sind entstanden. Viele davon leben von Impulsen, die aus Asien kommen, so Reiki, Prana Healing Technic, Jin Shin Jiutsu und andere mehr. Manch andere berufen sich auf indianische Traditionen, manche arbeiten mit schamanischen Konzepten. In vielen, wenn nicht den meisten dieser Angebote spielt der Begriff "Energie" eine wichtige Rolle.

 

Gleichzeitig tauchen inzwischen auch wieder Menschen mit "ererbten" Heilungsgaben auf, die es vermutlich bei uns immer gegeben hat, aber die sich nicht mehr so sehr wie früher schauen, sich zu zeigen.

 

Bevor wir weiter über "Heilende Energien" reden,  möchte ich, dass uns wirklich vor Augen steht, worüber wir reden. Ich möchte also vorschlagen, dass wir hier eine kleine energetische Übung gemeinsam praktizieren. Anschaulichkeit und eigene Erfahrung sind wichtig. Wir nehmen eine klassische Übung, die man als Reinigung der Energiefelder bezeichnet. In ihrer Urform stammt sie von dem philippinischen Lehrer Choa Kok Sui. Er nennt sie: General Cleansing.  (Choa Kok Sui, Grundlagen des Pranaheilens, englische Ausgabe zuerst erschienen 1987, deutsch bei Bauer, Freiburg/Br., 3. Auflg. 1996, S. 57f) Zu Deutsch: Allgemeine Reinigung.

 

Man macht diese Übung zu zweit oder zu dritt. Eine Person sitzt auf einem Stuhl und geht damit in die Rolle der Patientin bzw. des Patienten und ein oder zwei Personen praktizieren diese Übung im Stehen über der Person. Ich leite das in allen einzelnen Schritten an…

 

(Vier Personen melden sich für die Rolle der Patienten, 6 für die Rolle der Heilenden. Der Vortragende leitet an und hat auch selbst eine der zu behandelnden Personen vor sich. Die  Handelnden – so die Anleitung – mögen  von der Vorstellung ausgehen, dass die Patient/innen  von Energiefeldern umgeben seien und dass sie diese wie in einem Ritual mit bestimmten Handbewegungen reinigen, ausstreichen und glätten. Die innere Vorstellung, also die Geisteskraft, sei dabei das tragende Moment; die Handbewegungen gäben ihr Ausdruck. 
Die Übung nimmt etwa 15 Minuten in Anspruch. Die vier in der Rolle der Patient/innen werden anschließend nach ihrer Erfahrung befragt. Zwei von Ihnen fühlen sich deutlich besser, sowohl auf leiblicher als auch auf seelischer Ebene. Die beiden anderen haben den Eindruck, dass sie die Bewegungen der Behandler/innen zum Teil gespürt haben, obwohl diese sie nicht berührt hatten.)

 

Der Vorstellungszusammenhang, der zu dieser Übung gehört, heißt:

 

  • Alle Lebewesen sind von Energiefeldern umgeben und durchweht.
  • Gesundheit und Krankheit an Leib und Seele drückt sich in der Art aus, wie diese Felder bzw. die "Energien" in ihnen beschaffen sind.
  • Die Gesundheit von Leib und Seele lässt sich über diese Felder positiv beeinflussen.

 

Auf diesen Vorstellungszusammenhang gründen viele Angebote aus der New-Age-Szene ebenso wie aus den alten Heilungstraditionen.

 

Bei vielen Menschen – innerhalb wie außerhalb der Kirche - besteht ein Unbehagen gegenüber diesen Angeboten, ein allgemeines Unbehagen gegenüber dem ganzen Feld, oder ein Unbehagen gegenüber einzelnen Angeboten.

 

Es ist sicher ganz wichtig, dieses Unbehagen aufzuklären, und ganz wichtig, dass wir rationalen Boden unter die Füße bekommen. Wie stehen wir zu den Heilungsvorstellungen und Heilungsangeboten, die um uns herum zu Tage treten?

 

Ich weiß nicht, wie Sie dazu stehen und wie Sie gegebenenfalls mit solchem Unbehagen intellektuell umgehen. Für mich selbst lautet die Frage: Was weiß die Weisheitstradition der Bibel von "Heilenden Energien" und was sagen unsere theologischen Väter und Mütter dazu? Und deswegen sind Sie ja vermutlich hergekommen, dass sie hören, wie ein Kirchenmann versucht, sich Klarheit zu verschaffen.

 

Das will ich heute tun und ich tue dies in vier Kapiteln.

 

1. Das Unbehagen auf kirchlicher Seite liegt sicherlich nicht zuletzt auch darin begründet, dass hier im Westen nur ganz wenige Kirchenmenschen öffentlich Heilung oder heilendes Handeln praktizieren.

 

Seit der Aufklärung gibt es dazu keine breitere kirchliche Praxis mehr. Man kann gewissermaßen aus eigener Erfahrung oder aus der der vorangegangenen Generation nicht mitreden bei dem, was im New -Age verhandelt und praktiziert wird, - wobei dazu zu sagen ist, dass in diesem Punkt in der Kirche z. Zt. Manches in Bewegung ist.

 

Hätten wir hierzu eine klare seelsorgerliche Praxis, die sowohl von uns selbst als auch von den Betroffenen als wirkungsvoll erlebt wird, dann könnten wir den New-Age-Angeboten gelassen gegenübertreten und sagen: "Ja, an diesem oder jenem Punkt verstehen und machen wir das auch so." Oder: "Nein, das kommt mir doch sehr illusorisch oder wie Wunschdenken oder in anderer Weise als verquer vor."

 

Wir haben als westliche Kirchen – und das war gut so – in den letzten 200 Jahren unsere Sorge um die Kranken ganz wesentlich darin zum Ausdruck gebracht, dass wir moderne Krankenhäuser gebaut haben und der wissenschaftlichen Medizin zum Durchbruch und Erfolg verholfen haben.

 

Jetzt besteht gewissermaßen ein Nachholbedarf, dass wir noch einmal wieder zurückgehen zu jenem Strang unserer Überlieferung, der vom Handauflegen redet und von Heilungen durch die Kraft des Geistes. Je klarer wir uns dieses Schatzes wieder bewusst werden, desto klarer können wir reagieren.

 

Für afrikanische und andere außereuropäische Kirchen ist es im Übrigen so, dass sie in aller Selbstverständlichkeit dabei geblieben sind, Heilungsrituale im Gottesdienst oder im seelsorgerlichen Kontext zu praktizieren. Für unsere westlichen Kirchen hat der Theologieprofessor Walter Hollenweger zu diesem Zusammenhang eine Bestandsaufnahme und eine Empfehlung in vier Thesen formuliert:

 

Walter J. Hollenweger

 

1. These 
Viele Menschen haben von Gott Heilungsgaben bekommen. Diese Gaben treten in der christlichen Gemeinde und außerhalb der christlichen Gemeinde auf. Sie sind bekannt innerhalb der medizinischen Wissenschaften und außerhalb. Wie diese Heilungsgaben im Einzelnen funktionieren ist uns zu wenig bekannt. Der "Glaube" ist nicht konstitutiv für die Heilung. Es handelt sich nicht um "übernatürliche" Gaben. Der Begriff "übernatürlich" kommt in der Bibel nicht vor.

 

2. These
Alle Heilung kommt von Gott, ob innerhalb oder außerhalb des Christentums, ob innerhalb oder außerhalb der Ärztekunst und der Spitäler. Alle Heilung kommt von Gott. Der Teufel heilt nie. Es gibt kein einziges Beispiel in der Schrift, in dem der Teufel als Heiler auftritt.

 

3. These
Damit wird nicht bestritten, dass es dunkle okkulte Machenschaften gibt, bei denen Heilung versprochen wird, die aber nicht zur Heilung führen. Es ist nachher schlimmer als vorher, auch wenn gewisse Symptome verschwunden sind. Nur geht es nicht an, alles, was im Christentum oder in den Spitälern passiert als gut, und alles, was außerhalb des Christentums und außerhalb der europäischen Kultur passiert als schlecht zu bezeichnen. Wir brauchen bessere Kriterien. Wichtigstes Kriterium ist: Macht die entsprechende Behandlung (oder das Gebet) den Menschen frei, oder abhängig von Menschen, Drogen, Institutionen und Ideologien.

 

4. These 
Auch wenn wir berechtigte, medizinisch und theologisch begründete Kritik anmelden an gewissen Heilern aus Übersee, so ist doch die beste Kritik am Falsch die Praxis des Wahren. Darum ist es nötig, dass wir in unseren Gemeinden Liturgien für "Mühselige und Beladene" oder für "Kranke und Gesunde" entwickeln, in denen die Hilfesuchenden nicht nur angepredigt, sondern berührt und ernst genommen werden. Gebet mit den Kranken (und Gesunden) ist nicht Privatsache.

 (Thesen vorgelegt auf einer Tagung der Ev. Akademie Nordelbien Ende der 90ger Jahre)

 

Das ist doch eine schöne Aufforderung an die Kirchenmenschen: Sie mögen sich an die Schätze ihrer eigenen Tradition erinnern und wieder eine öffentliche Praxis dazu entwickeln.

 

Hollenweger plädiert dabei vor allem dafür, Heilungsrituale wieder in den Gottesdienst hinein zu nehmen. Manche Gemeinden laden ihn ein, dass er ihnen solche Segenshandlung zeigt. Ich selbst habe seine sehr überzeugende Art auf einer Tagung der Evangelischen Akademie erlebt.

 

Die Handlung besteht im Zentrum aus einer Salbung mit Öl an Stirn und Händen. Die Zusammensetzung dieses Öls ist im Alten Testament beschrieben: Es wird inzwischen auch wieder hergestellt. Sie können es z.B. im Amt für Öffentlichkeit in Hamburg bekommen.

 

Wer sich in diesem Heilungsritual segnen lassen möchte, wird von zwei Helfer/innen begleitet. Der Segnende steht vorn. Die beiden Helfer/innen stellen sich seitlich hinter die Person und schirmen sie zur Gemeinde hin ab. So entsteht ein geschützter Raum für das Ritual. Ich habe an mir selbst erlebt, wie dicht und „intim“ die Atmosphäre in dieser Szene da vorn werden kann. Hollenweger fragte mich, was mein Anliegen sei und woraufhin ich gesegnet werden möchte. Ich gab eine Antwort, die ich nicht mehr erinnere. Ein Assistent reichte Hollenweger die Schale mit Öl zu. Er salbte mich an Stirn und Händen und sprach mir dabei Segnung in Worten zu. Handlung und Worte berührten mich tief. Die Worte selbst erinnere ich nicht mehr. Ich weiß nur, dass es biblische Formulierungen waren, und dass sie erstaunlich genau auf meine Situation passten.

 

Ich fragte ihn später, woher er wisse, mit welchen Worten er auf die Segnungsbitte der einzelnen zu antworten habe, und er machte mir Mut. Die rechten Worte würden sich einfach aus der Intuition heraus einstellen.

 

Das wurde dann im Zuge der Zeit auch meine eigene Erfahrung: In Seelsorgesituationen und in solchen Segnungshandlungen finden sich die rechten Worte. Das Phänomen kann man am besten in „energetischen“ Begriffen beschreiben: Wenn man sich mit Ernst auf eine solche Szene einlässt, dann entsteht dort eine sehr kraftvolle Atmosphäre (die alte Sprache würde sagen: der Heiliger Geist ist dann dort präsent), - eine Atmosphäre, in der alle Beteiligten auf einer tieferen Bewusstseinsebene miteinander verbunden sind. Fast symbiotisch verbunden sind. Aus solcher Tiefe tauchen dann diese Worte auf, die gut und heilend sind für die Heilung suchende Person. Hollenweger machte uns Mut dazu, uns darauf zu verlassen, dass der Geist die richtigen Worte würde entstehen lassen. Und inzwischen kenne ich diesen Vorgang als sehr verlässlich, am Krankenbett ebenso wie im seelsorgerlichen Gespräch.

 

In dieser Weise, so Hollenwegers Aufforderung, mögen die Kirchenleute also segnendes und heilendes Handeln wieder in den Gottesdienst aufnehmen. Denn Gebet für die Kranken soll nicht Privatsache sein, sondern Sache der Liturgie.

 

Und ich möchte hinzufügen: Es geht auch darum, dieses Wissen um Energien und die Kräfte des Geistes wieder in die Seelsorge zu integrieren – z.B. in die Seelsorge der Pfarrer und Pfarrerinnen am Krankenbett, aber auch in die Seelsorge der Menschen untereinander. Wobei Seelsorge selbst schon ein zu kurz greifender Begriff ist. Heilende Kräfte beziehen sich ja auch auf den Leib. Leibsorge müsste da mit hinein. Sonst greifen unsere Erwartungen zu kurz. Denn "Heilungen sind im Kontext des Glaubens Zeichen der Neuschöpfung und der Wiedergeburt des Lebens". Und Neuschöpfung und Wiedergeburt ist nicht nur psychologisch oder spirituelle gemeint, sondern ganzheitlich und damit sehr wohl auch körperlich.

 

 

2. Das Unbehagen kann sich m. E. nicht darauf berufen, dass das biblische Weisheitswissen von einem anderen Weltbild ausgeht als das asiatische. Sie unterscheiden sich in manchen Punkten fundamental. Aber in der Vorstellung, dass "Energien" in Natur und Lebewesen wirken, haben die Bibel und Asiens Weisheitstradition viele Parallelen.

 

Viele Gesundheitstraditionen Asiens arbeiten mit Begriffen, die wir gewöhnlich mit dem Wort „Energie“ übersetzen. In China heißt dieser Begriff Chi, wie er in TaiChi  oder QiGong benutzt wird. Japanisch heißt er  Ki wie in Aikido. In Indien heißt er Prana. Eine bessere Übersetzung wäre: Lebensenergie.

 

Die Vorstellung hinter den asiatischen Begriffen ist nicht sehr weit entfernt von alttestamentlichen Darstellungen. Der materielle Körper des Menschen – in der Bibel aus Lehm geschaffen – erwacht zum Leben durch den Odem. Und das gilt im Alten Testament nicht nur für den Menschen, sondern für die gesamte Natur: nimmt Gott weg den Odem, dann werden die Menschen wieder wie Staub. Sendet Gott aus seinen Odem, so wird neu die Gestalt der Erde.

 

Die deutsche Sprache kennt den Unterschied von Körper und Leib. Redet sie von dem Körper, so klingt darinnen corpus an, der tote Körper. Redet sie von Leib, dann klingt darinnen die Wortwurzel "Leben" an. Leib ist der beseelte Körper. Aus dem materiellen Körper wird der lebendige Leib, weil aus der Quelle des Lebens etwas in ihn überströmt.

 

Die Bibel hat für diesen Vorgang sehr viele Metaphern. Jürgen Moltmann hat darüber intensiv gearbeitet. Drei Metaphern seien in diesem Zusammenhang erwähnt:

 

  • Der Baum, der gute Frucht bringt
  • die Quelle des Lebens
  • und das Licht, das sich ausbreitet und Menschen und Dinge zum Leuchten bringt.]

 

Alle drei Bilder „zeigen den fließenden Strom der Energien von Gott zum Menschen hin.“ 
Jürgen Moltmann, Der Geist des Lebens, München 1991, Seite 202 (unter dem Kapitel: Die Heilung der Kranken)

 

Das ist der biblische Verständnishintergrund. Die uns bekannten Handlungsformen des Segnens und des Heilens setzen ihn voraus (wie jeder „Ritus einen entsprechenden „Mythos“ voraussetzt). Diese Vorstellung steht hinter dem Ritus des Handauflegens zum Heilen, hinter der Gebärde des Segnens im Gottesdienst, hinter der Handauflegung zur Geistübertragung bei der Priesterweihe und hinter anderen Formen mehr.

 

Auch die im Gottesdienst gesprochene Epiklese (Gebetsbitte, die das Herabrufen des Heiligen Geistes auf die versammelten Menschen erbittet) bringt diesen Zusammenhang des Fließens zum Ausdruck und in Worte. Erlauben Sie mir einmal, diese Gebetsbitte als Gebet zu sprechen. Sie heißt:

 

Gott des Himmels und der Erde: 
Sende herab auf uns deinen Heiligen Geist. 
Heilige und erneuere uns an Leib und Seele.

 

Das Herabfließen des Geistes bringt Heiligung und Erneuerung an Leib und Seele. Das ist die Vorstellung in dieser Segensbitte. Und manche spüren auch solches Fließen am eigenen Leib.

 

Für asiatische Heilungstraditionen sprechen die erwähnten biblischen Bilder von einer ihnen vollkommen vertrauten und unbezweifelten Realität: Zwar sprechen die Bilder in symbolischer Sprache, aber nichts desto trotz sprechen sie von einer erfahrbaren Realität. Asien, insbesondere China, hat unendliche Sorgfalt darauf verwand, dieses Fließen von Energie zu beobachten und herauszufinden, was auf der Seite des Menschen dazu dienen kann, diesen Fluss von Odem, Prana, Chi zu unterstützen. Viele Heilungsübungen sind daraus entstanden. Und wer TaiChi praktiziert, der kann zustimmen, dass das, was da im Zuge der Zeit leiblich sich verändert, mit „energetischen“ Begriffen in der Tat ganz gut ausgedrückt ist. Da wird etwas lebendiger, fließender, wie Wasser, das strömt, oder wie Wärme, die sich ausbreitet.

 

Dieses hohe Interesse an „Lebensenergie“ hing insbesondere in China damit zusammen, das Gesundheit und langes Leben in ihrer Kultur, die kein Jenseits kannte, zu den höchsten Werten geworden waren. Und Asiens penibles Beobachten und Studieren führte zu einer umfassenden Beschreibung von energetischen Zusammenhängen. Dass der Mensch und alle lebenden Wesen von Feldern von Energie umgeben und durchdrungen sind, die sich in bestimmter Weise formen und sich an bestimmten Körperregionen zu schwingenden Zentren (Chakren) konzentrieren und dergleichen mehr. Gesundheit drückt sich darin aus, dass diese Felder und Zentren frei und kräftig von Energie durchströmt sind, Krankheit an Leib oder Seele darinnen, dass diese Felder und Zentren für die Energie nicht durchlässig oder nicht erreichbar sind. Der kranke Mensch verwelkt gewissermaßen wie ein Blatt, das mit den Lebenskräften des Baumes nicht mehr verbunden ist.

 

Und, schaut man von diesen asiatischen Vorstellungen zurück in unsere eigenen Tradition, dann sieht man, dass das Handauflegen und das Segnen und das Beten diese unterbrochene Verbindung zwischen Baum und Blatt, zwischen göttlichem Odem und krankem Leib offenbar wiederherzustellen vermochte, - nicht in allen Fällen, aber da, wo der Geist es wollte.

 

Lassen wir uns darauf ein, dass da in der Epiklese (d.h. in dem Herbei-Bitten des Heiligen Geistes), im Segnen, in der Zuwendung zum Kranken, im fürbittenden Gebet tatsächlich Kraftströme fließen, dann wird unsere Praxis ganz erstaunliche Veränderungen erleben und bewirken.

 

3. Das Unbehagen besteht aber in bestimmten, vielleicht sogar in vielen Fällen zu recht. Denn in manchen Fällen ist das Selbstverständnis der Heilenden und das Selbstverständnis der Heilungssuchenden und das Verständnis von der Kraft, die da wirkt, ungenau oder von der Sache her auch falsch.

 

Mir flatterte eine Einladung auf den Tisch.

 

2-Tages-Transformation-Workshop 
Anleitung zur Selbst-Heilung
Einführung und Ermächtigung der Christus-Energie

In diesen 2 Tagen werden wir gemeinsam praktizieren.
Wir tauchen ein in die Erfahrung unseres Göttlichen Selbst und der universellen Heilkraft
Wir aktivieren unseren inneren Heiler und lernen mit der "NEUEN ENERGIE" umzugehen. Wir bauen ein starkes göttliches morphogenetisches Feld ( Christus-Energie) auf, in dem wir vieles loslassen und heilen können.
Der Schwerpunkt liegt in der Einführung und der Erfahrung der Christus-Energie sowie derErmächtigung mit dieser Energie eigenverantwortlich umzugehen.

(Flyer von TAITA Ilse Danz, München. 2006)

 

Das wird Ihnen genauso gehen wie mir: Beim Lesen wird mir unbehaglich. Da sind so viele Versprechungen. Da sind so große Worte. Da wird von Einweihung und Initiation gesprochen, als wäre das mal eben an einem Wochenende zu machen. Das klingt anpreisend. Und vor allem klingt es unaufgeklärt. Damit meine ich: Die Sprache klingt, als wäre sie nicht durch eine Klärung gegangen, wie es in einer längeren Tradition der Fall ist. D.h.: Aufklärung muss nicht in der Weise der Universität geschehen. Auch die asiatische Form, dass man bei einem Meister in die Lehre geht, beinhaltet Aufklärung: Klärt das Verstehen, klärt die Sprache und klärt die eigene Person zur Reife hin.

 

4. Ein Rückblick auf die großen Traditionen gibt uns Kriterien für unser Unbehagen. Mein Unbehagen gegenüber den Heilungsangeboten verschwindet, wenn die Art, wie da geheilt wird, und die Art, wie die heilende Person sich versteht und darstellt, zum Beispiel folgender Erzählung gleicht oder zumindest nahe kommt.

 

Ich nehme eine Heilungserzählung aus asiatischer Tradition. Sie steht in der Autobiographie von Paramhansa Yogananda und entstammt eben einer Tradition, wo man bei Meistern in die Schule geht und im Kontakt mit dem Meister sein Verstehen und Verhalten in spirituellen Dingen klärt.

 

Heilung eines Blinden

Ein blinder Schüler Lahiri Mahasayas mit Namen Ramu erweckte mein besonderes Mitgefühl. Sollten seine Augen nie das Licht schauen, obgleich er unserem Meister, der im vollen Glanz des Göttlichen erstrahlte, so treulich diente? Eines Morgens nahm ich mir vor, mit Ramu zu sprechen. Dieser jedoch saß stundenlang neben dem Guru und fächelte ihm geduldig mit einem handgemachten Fächer aus Palmenwedeln Kühlung zu. Als der Schüler endlich den Raum verließ, folgte ich ihm.

„Ramu, seit wann bist du blind?“

 „Von Geburt an, Sir. Meine Augen haben nie das Licht der Sonne erblickt.“

 „Unser allmächtiger Guru kann dir gewiß helfen. Bitte ihn nur darum!“

Am folgenden Tag näherte sich Ramu schüchtern dem Guru. Er schämte sich fast, neben all den geistigen Wohltaten auch noch körperliches Wohlergehen zu erbitten.

 „Meister, der Erleuchter des Kosmos ist in Euch. lch bitte Euch darum, sein Licht in meine Augen zu bringen, damit ich den geringeren Glanz der Sonne wahrnehmen kann.“

 „Ramu, da will mich jemand in eine mißliche Lage bringen. Ich besitze keine Heilkräfte“

 „Sir, der Unendliche in Euch kann gewiß heilen.“

 „Das ist allerdings etwas anderes, Ramu. Gott kennt keine Grenzen. Er, der die Sterne und jede Zelle unseres Körpers in geheimnisvollem Lebensglanz erstrahlen läßt, kann zweifellos auch deinen Augen das Sehvermögen schenken.“ Damit berührte der Meister Ramus Stirn zwischen den Augenbrauen.*

 „Konzentriere dich auf diese Stelle, und rufe sieben Tage lang immer wieder den Namen des Propheten Rama** an. Dann wird auch für dich die Sonne in all ihrem Glanze erstrahlen.“

Und wahrhaftig, nach einer Woche erblickte Ramu zum ersten Male die Natur in ihrer ganzen Schönheit. Der allwissende Guru hatte seinem Schüler mit untrüglicher Intuition den Rat gegeben, den Namen Ramas zu preisen, den er mehr als alle anderen Heiligen verehrte. Ramus Glaube war der hingebungsvoll gepflügte Boden, in dem die vom Guru gesäte Saat der Heilung aufgehen konnte.«

Der Erzähler schwieg einige Augenblicke und fügte dann anerkennend hinzu: „Bei allen Wundern, die Lahiri Mahasaya vollbrachte, ließ er nie zu, dass sich das Prinzip des Ego den Anschein einer eigenen, ursächlichen Kraft verschaffte. Dadurch aber, dass er sich der heilenden Urkraft vorbehaltlos hingab, konnte diese ungehindert durch ihn fließen.“
(Paramhansa Yogananda, Autobiographie, Übersetzung der Originalausgabe von „Autobiography of a Yogi“ aus dem Jahre 1946, Knaur, München 1996, S. 61f)

 

Auf vier Punkte in dieser Erzählung möchte ich besonders aufmerksam machen, nämlich auf

 

  • die Rolle und das Selbstverständnis des Meisters
  • die Rolle des Heilung Suchenden
  • die Kraft, die da heilt
  • den Vorgang des Heilens

 

Was den Meister angeht, so kann er es offenbar aushalten, dass da in seiner unmittelbaren Umgebung jemand lebt und nicht geheilt ist. Er bietet von sich aus keine Hilfe an. Die Bitte geht zu gegebener Zeit von Ramu aus. Das ist nicht Nachlässigkeit auf der Seite des Meisters oder fehlendes Mitleid. Er kann aushalten. Er kann warten. Von der Sache her ist es ist offenbar eine wichtige Voraussetzung, dass der Heilung Suchende selbst die Initiative übernimmt. Auf seiner Seite muss die Zeit reif sein. 

 

Bevor der Meister sich überhaupt in irgendeiner Weise weiter einlässt, klärt er einen wichtigen Punkt. „Ramu, da will mich jemand in eine mißliche Lage bringen. Ich besitze keine Heilkräfte“, sagt er. Und Ramu korrigiert oder besser präzisiert: Nein, nein, nicht du Meister. „Aber der Unendliche in Euch, der kann ganz gewiß heilen.“ 
Mit dieser Klärung ist der Meister zufrieden. 


Was ist da geklärt?  
Geklärt ist, dass es um die Kraft geht, die im Meister präsent ist. Geklärt ist, dass Ramu gewissermaßen von jenseits vom Meister Hilfe erbittet, zwar vermittelt durch den Meister, aber nicht von ihm als Person her stammend.

 

Das wäre eine missliche Lage für den Meister, wenn die Leute glaubten, er könne Krankheiten fortnehmen. Misslich, weil solche Erwartungen an uns herangetragen uns immer in die Gefahr bringen, dass wir groß von uns denken, dass also unser Ego sich aufbläht. Misslich auch, weil das Image „Der oder die kann heilen“ allzu leicht verdeckt, dass die Heilkraft aus der Heilung suchenden Person selbst entsteht.


Eine Krankenhausärztin hat in einer unserer Gruppen an dieser Stelle der Erzählung einmal aufgeseufzt und gesagt: „Wie wäre das schön, wenn ich das auch sagen könnte: Ich habe keine Heilkräfte.“ Denn das ist ja der Druck, unter dem Ärzte oftmals stehen. Viele Patienten kommen mit Erwartungen, die eigentlich lauten: „Mach mal! Mach mich gesund.“ Wir haben der Ärztin aus der Gruppe heraus geantwortet: Von der Sache her musst Du wahrscheinlich zwei Sätze sagen: Der erste heißt: Ich besitze keine Heilkraft. Und der zweite heißt: Ohne mich geht die Heilung aber vermutlich auch nicht.

 

Der Meister nötigt also den Ramu, noch einmal sehr genau zu formulieren, woher er Heilung erwartet. Und Ramu tut dies und klärt, dass er die Heilung von dem Erleuchter des Kosmos her erwartet. Damit herrscht zwischen den beiden Einverständnis.

 

Wie kommt die Heilung zustande? - Ich formuliere das einmal in meiner Sprache: Der Meister hilft dem Ramu, sich „in die Kraft zu stellen“. Und um ihm das zu ermöglichen, kreiert  der Meister ihm ein Ritual, das genau auf ihn und seine geistigen Voraussetzungen zugeschnitten ist. Auf die Stirn und auf den Lieblingspropheten hin meditieren, heißt die Aufgabe. Eine Zeitspanne wird genannt und die Zuversicht ausgesprochen, dass Heilung geschehen wird. Das sind die Elemente des Rituals. Und der Sinn des Rituals ist, dass es dem Ramu eben dies ermöglicht: Sich in die Kraft zustellen, die ihm auf diese Weise möglicherweise aus dem Bereich des Göttlichen zufließt.  Und dann gibt der Meister den weiteren Prozess dem Ramu und der Kraft anheim.

 

Gegenüber einem solchen vorsichtigen und behutsamen Reden von Heilung verschwindet mein Unbehagen. Hier ist das Selbstverständnis des Heilers und das Selbstverständnis des Heilung Suchenden überzeugend geklärt. Hier ist von der Heilkraft sehr deutlich so gesprochen, dass es einerseits eine Kraft ist, die dem Ego nicht zur Verfügung steht - weder dem Ego des Meisters noch dem Ego des Heilung Suchenden – und dass sie andererseits aber dennoch auf wunderbare Weise in uns zur Wirkung kommen kann, vielleicht über ein Ritual oder auf andere Weise, - dort, wo der Geist es will.

 

Was habe ich gemacht? – Ich habe den New-Age-Angeboten eine Erzählung aus den großen spirituellen Traditionen gegenüber gestellt.

 

Können Sie mir zustimmen? Da wo Heilungsangebote in dem Geist, den diese Erzählung ausstrahlt, einher kommen, da wird vermutlich unser Unbehagen verschwinden?

 

Ich habe bewusst eine Erzählung aus dem asiatischen Raum genommen, um Kriterien zu einem angemessenen Reden über Heilungen und zu einem angemessenen Verständnis über die Kraft, die heilt, zu gewinnen. Das Schöne ist, das in der biblischen Tradition in der gleichen vorsichtigen Weise von den Heilungen gesprochen wird. Die biblische Tradition beschreibt die Rolle des Heilenden, die Rolle der Heilung Suchenden und die Kraft, die heilt in sehr ähnlicher Weise. Für einen unserer Kurse habe ich dazu einmal eine Zusammenstellung gemacht, die ich Ihnen gern zur Verfügung stelle. (Die Zusammenstelung ist in der Druckversion dieses Vortrags mit enthalten.)

 

Zusätzlich und zum Schluss möchte ich Ihnen noch zwei Einsichten aus der christlichen Weisheitstradition zu unserem Thema nennen. Beide sind als Paradoxe formuliert, also als gegensätzliche Aussagen, die sich innerhalb unserer Logik nicht auflösen lassen. Und das finde ich hervorragend. Das ist:

  1. Eine Aussage über den Heiligen Geist, also über den Geist, der heilt. Er lässt sich einerseits offenbar immer herbei bitten. Sonst wäre die Herbeirufung des Geistes – Epiklese – im Gottesdienst nicht so einfach zu formulieren: Sende herab auf uns deinen heiligen Geist… Andererseits weiß die Tradition: Er weht wo er will. Er entscheidet offenbar selbst, wo und wann er wirkt. Das sind zwei gegensätzliche Aussagen. Das ist ein Paradox und trotzdem richtig. Diese Schwierigkeit, einen Weg zu Heilung zu haben und ihn doch nicht zu haben, muss aufrichtigerweise auf der Seite des Heilenden sichtbar werden.

  2. Wie ist das Verhältnis zwischen der heilenden Kraft und der Person des Heilenden zu beschreiben? Es war aber eine Kraft bei ihm, dass er heilen konnte, formuliert Lukas im Hinblick auf seinen Meister. Welche Rolle spielt der Mensch? Welche die heilende göttliche Kraft? Im Hinblick auf den Meister der Christen haben die Väter (und Mütter) vier Jahrhunderte lang darüber gestritten und sind am Ende wieder zu einer paradoxen Formulierung gekommen. Sie haben gesagt: In Jesus, dem Christus, sind zwei Naturen im Spiel. Die göttliche Natur und die menschliche. Wie wirken die zusammen? 451 wird auf dem Konzil zu Chalcedon das Paradox formuliert: 
    Christus, vollkommener Gott und vollkommener Mensch in zwei Naturen,
    unvermischt und ungetrennt
    ungewandelt und ungeteilt.

Man muss die Kraft, die heilt, und die Person, die beteiligt ist, getrennt beschreiben und dennoch sind sie – im Akt der Heilens, sage ich jetzt - nicht getrennt. Die Person ist in vollem Sinne beteiligt. Der Geist ist im vollen Sinne beteiligt. Die mischen sich nicht, die sind aber auch nicht getrennt. Hier kapituliert die Logik. Und das ist gut so und sachgemäß.

 

Vor diesem Ringen um eine sachgemäße Beschreibung wird dann sichtbar, dass bei manchen Heilungsangeboten in diesem Punkt etwas zu kurz formuliert wird. Ich nehme eine Standardformulierung aus dem Reiki. Dort lernt man, dass man Kanal ist für die göttliche Energie. Das ist eine sachgemäße Beschreibung, weil es klar macht und das auch als Übungsweg versteht, dass das Ego draußen vor zu bleiben hat. Von unserem Paradox her gesehen ist es aber andererseits eine unzureichende Beschreibung, weil die Person, die da handelt, als Person eben auch im Spiel und auch wichtig ist. Wir merken das: Wenn wir uns einmal vorstellen, wir würden jemanden um heilende Hilfe bitten. Da würden wir nicht zu jedem oder jeder gehen. Da würden wir schon genau auch auf die Person achten. Vertrauen auch in die Person ist wichtig. Und das geben wir natürlich umso leichter, je mehr diese Person als Mensch zu Klarheit und Liebe hin gereift und zugleich verwurzelt in der Kraft des Geistes ist. Und das wäre dann ein weiteres Kriterium gegen das Unbehagen.